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             Die Vertreibung      

                                                 

                                 

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Meine alte Mutter, Eure Urgroßmutter und Tante Else, meine jüngste Schwester, durften noch dableiben. Sie begleiteten uns ein Stück Weges, dann nahmen wir Abschied. 

Außerhalb der Stadt standen polnische Bauernwagen und wir hatten das Glück allesamt mit den Kinderwagen aufsteigen zu dürfen, nur Euer Opa lief mit dem Handwagen nebenher. Es war eine schreckliche Fahrt; denn es regnete und wir kamen nicht vorwärts, weil viele Leute, auch Kinder laufen mussten. So ging es 25 Km nach Glatz, unsere Kreisstadt.

Wir kamen nachts um elf Uhr dort an. Am Finanzamt mussten wir absteigen und dort waren schon viele Tausende Menschen aus der ganzen Grafschaft Glatz. Im Gebäude selbst waren schon alle Räume dicht besetzt. Alles lag zusammengedrängt auf den Gepäckstücken. Den Handwagen, den wir nicht ins Haus nehmen durften, hatte man uns gar gestohlen. Wir legten die müden Kinder im Flur auf unsere Säcke und sie schliefen bald ein. Doch wir durften nicht auf dem Flur bleiben und wurden dann nach Mitternacht in ein Zimmer gestopft, wo schon viele aus Bad Reinerz lagen, die am anderen Tag abtransportiert werden sollten. Die Luft im Raum war verbraucht und zum Durchschneiden, so dass ich gleich die erste halbe Stunde ohnmächtig wurde und Opa sich um mich bemühen musste.

Am anderen Morgen mussten wir wieder aus dem Zimmer heraus, kaum dass wir uns einwenig häuslich eingerichtet hatten. Schlafen mussten wir natürlich auf unserem Gepäck. Kaffee und ein Süppchen für die Kinder konnten wir in einer weit entfernten Küche kochen, wenn man Holz zum Ofen anmachen mitbrachte, so suchte man in allem Dreck etwas zusammen. Es war alles sehr beschwerlich durch die vielen Menschen und die Räume waren stark von den Russen zerstört worden. Toiletten konnten gar nicht benützt werden, da alles unter Wasser stand. Spülungen entzwei und Abflüsse verstopft. Die vielen Menschen mussten sich irgendwo am Neißefluss ein verstecktes Örtchen unter freiem Himmel suchen.

Nach zwei Tagen mussten wir nochmals umziehen. Mit Kind und Kegel mussten wir nun in einen Seitenflügel in den 4. Stock. Wir hatten da allein ein leeres Stübchen aber leider ohne Tür und wir haben da fürchterlich gefroren. Es kam noch eine polnische Revision nach Geld, Schmuck und Wertsachen, aber bei uns fanden sie nichts. 

Für die letzten 1300 Zlotys, die Eure Mutti beim Verkauf eines Mantels und Anzuges von Euerem Vater erhalten hatte, konnten wir noch in letzter Stunde durch Boten in der Stadt Glatz 1 Pfd. Butter und 1 1/2 Pfd. Wurst kaufen, damit wir auf der kommenden Reise etwas zu essen hatten. Der Gedanke, dass Euer Vater heimkommt und die Garderobe brauchen könnte drückte uns dabei sehr. 

Auf dem Dachboden des Finanzamtes fand für alle Interessierten ein evangelischer Gottesdienst mit heiligem Abendmahl statt. Eure liebe Mutti hatte es sehr schwer für Euch Kinder, besonders die Kleinen zu sorgen. Alle waren wir schon sehr schmutzig. Am Sonntag, den 17. 3. 1946 kamen wir dann dran, abtransportiert zu werden. 

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Stand: 23. Januar 2022